Das Schaf und der Geigenbauer

Jahrhunderte lang wurden Instrumentalsaiten aus Schafdarm hergestellt. Die überlieferten Herstellungsmethoden der Schafdarmsaiten wurden gepflegt und von Meister zu Lehrling weitergegeben. Der heute vorwiegend verwendete Rinderdarm hat erst Mitte des 20. Jahrhunderts die Werkstätten der meisten Saitenhersteller erobert. Rinderdarm ist günstiger als Schafdarm, weil er sich besser für die maschinelle Verarbeitung eignet. Klanglich, so sagen die Musiker die den Wechsel von Schaf zu Rinderdarm miterlebt haben, kann die viel steifere und weniger charmante Rinderdarmsaite allerdings nicht mithalten. Vielleicht sind auch die modernen Vernetzungsmethoden, die heute oft bei der maschinellen Saitenherstellung verwendet werden, für Klangeinbussen verantwortlich.

Nur einige wenige Saitenhersteller haben das alte Handwerk in den letzten Jahrzehnten liebevoll weitergepflegt und am Leben erhalten. Heute gibt es auf der Welt nur mehr einen Einzigen, der sich Saitenmachmeister nennen darf. Wolfgang Frank aus Zwota, Raum Markneukirchen, der einstigen Drehscheibe des Welthandels mit Darmsaiten.

Diese Situation veranlasste die «Hochschule für Künste Bern» ein Forschungsprojekt zu initiieren, dessen Ziel es war, das vorhandene Wissen aus schriftlichen und mündlichen Quellen zu sammeln, sowie Wolfgang Franks Erfahrungsschatz zu sichern und zu konservieren. Ich wurde als Geigenbauer, mit dem Spezialgebiet «Historischer Instrumentenbau», ins Boot geholt. Vorerst.

Durch dieses Projekt erkannte ich schnell, dass es nur beschränkt sinnvoll ist historische Instrumente zu bauen, wenn man diese dann mit modern verarbeiteten Rinderdarmsaiten bespannt. Also beschloss ich die Saitenmacherei selbst zu erlernen und zu versuchen, eine Saite nach historischem Vorbild, nur mit traditionellen Herstellungsmethoden zu rekonstruieren.

In vorangegangenen Forschungsprojekten habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, mein bisheriges Wissen kurzerhand über Bord zu werfen, um neue Informationen und Quellen unvoreingenommen prüfen und hinterfragen zu können. Ich versuchte nachzuvollziehen welchen Blick die Handwerker vor 300 Jahren auf ihr Schaffen und das rohe Material hatten. Ihren Forschergeist, den Geruch der Alchemie aufzunehmen. Die Primärquellen aus dem Forschungsprojekt der HKB dienten mir als Navigation. Begleitet wurde, und werde ich auf meiner Reise von meinem Freund und Lehrer Wolfgang Frank. So begann ich zu forschen, jede noch so kleine, abwegige Idee einfach auszuprobieren.

Verrückte Rezepturen, erste Erfolge, Fortschritte, Rückschläge und unzählige Wiederholungen, Riss- und Klangtests waren die Folge.

Ich wollte dem Herstellungsalltag der alten Meister möglichst nahe kommen. Also entschloss ich mich, mein Darmmaterial nicht weiter vorgereinigt von Darmhändlern zu kaufen. Ich ging in den Schlachthof Zürich, zog dort unter Anleitung eines professionellen Darmputzers mit eigenen Händen den Dünndarm aus dem Innereien-Paket und reinigte diesen selbst.

Die Arbeit mit dem selbst gezogenen und selbst gereinigten Darm hat mich etwas Wichtiges gelehrt. Ich habe erlebt, wie der Verwesungsprozess des frischen Materials in meinen Händen direkt unter meiner Nase abläuft. So bin ich heute überzeugt, dass viele Zugaben von Hilfsmitteln, welche in den überlieferten Herstellungsprozessen beschrieben werden, vor allem der Desinfektion der Därme und der Bändigung des Geruches - nein Gestankes dienten, und nicht zur Verbesserung des Klanges, wie heute vielfach angenommen wird.

Den feinen, dünnen Schafdarm zu schleimen (wie die Reinigung genannt wird), ist ein kunstvolles Handwerk für sich. Keine Maschine kann die händische Arbeit in dieser Sorgfalt übernehmen. Heute beziehe ich mein Rohmaterial von einem leidenschaftlichen, professionellen Darmputzer, dessen Handwerk alte, liebevoll weitergegebene Familientradition ist. Ein wahrer Virtuose auf seinem Gebiet!

Bei meiner Lehrzeit bei Wolfgang Frank packte mich noch ein anderer Gedanke. Wäre es möglich die vielen Handgriffe des Saitenmachens, die in regelmässigen Abständen und auch nächtens notwendig sind, maschinell nachzubilden? Würde es gelingen eine Maschine zu konstruieren, die mit präzisen Messungen und ausgeklügelter Sensorik den Zeitpunkt und die Anzahl der idealen Verdrillungen ausführen kann? Könnte man etwas automatisieren, was bis anhin von der geschickten Hand des Saitenmachers abhängig war?

Es ist tatsächlich geglückt, und doch nicht zum Einsatz gekommen. Diese Maschine wurde von einem Ingenieur programmiert und gebaut und ist voll funktionsfähig. Während der Entwicklung des Prototypen machten wir viele Experimente und Messungen, auf deren Grundlage ich meine Herstellungsmethode nach und nach verfeinern konnte.

Am Ende bin ich am Anfang. Bei reiner Handarbeit.

Nun bleibt mir nur noch ein grosses Dankeschön auszusprechen an:

  • Wolfgang und Tabea Frank, die mich mit offenen Armen empfangen haben und mich an ihrem immensen Wissen teilhaben liessen. Ohne sie würde es Wild so nicht geben.
  • Markus Ehrat Innovationsmentor der Innosuisse, die visionäre, ordnende Hand im Hintergrund in der Projektbetreuung.
  • Das Team des KTI-Forschungsprojekts:  Kai Köpp, Jane Achtman, Johannes Gebauer. Sie haben unermüdlich Quellenmaterial gesucht und geordnet. http://www.hkb-interpretation.ch/projekte/from-field-to-fiddle
  • Das Team des Instituts Interpretation der Hochschule der Künste Bern: Martin Skamletz, Sabine Jud, Daniel Allenbach. Sie haben die Durchführung des Forschungsprojekts ermöglicht. http://www.hkb-interpretation.ch/news
  • Bernhard Kainzbauer, der sich der Eigenwilligkeit der Computer angenommen hat, um sie zu bändigen.
  • Davide Monti, der unglaubliche Geiger der "meyne Seytten aufs vorzüglichste zu traktieren weiss". (Hörbeispiel: Musik im Imagevideo, La Petenera mit Acorte Musical) www.arparla.it. www.helicona.it
  • KONI, die fantasievolle Künstlerin aus Linz. Zufällig bin ich in ihr Atelier gestolpert. Spontan hat sie mich beschenkt. So kam das  Bild des «Wilden Schafes» zu meinen Saiten. www.koni-oberhauser.at
  • Manuel Diepold, der Filmemacher der mich wirklich überallhin begleitet hat. Er hat es geschafft den Klang unserer Saite mit seinen Bildern zu erzählen 
  • Florian Kofler, der Cellist, der sich mutig in das alte Handwerk stürzte, dieses mit Hingabe erlernte und es sicher und behutsam in die Zukunft tragen wird.
  • Theresia Kainzbauer, meine Frau die mich durch alle Höhen und Tiefen dieses Projektes getragen hat.
  • Julia Falkner von secoso, für das liebevolle Design und die professionelle Erstellung unserer Website. www.secoso.at
  • Und alle, die hier nicht namentlich genannt werden können. All die Mitdenker, Übersetzer, Saiten-Tester, Freunde und Familie. Habt Dank!
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